Filmreihe Leben erfinden und Galerieausstellung Zukunft des Körpers
Seit 2001 formulieren die Frankfurter Positionen künstlerische Thesen und Standpunkte zum gesellschaftlichen Wandel und Veränderungen in der Lebenswelt. „Leben erfinden – Über die Optimierung von Mensch und Natur“ lautet das diesjährige Thema, an dem sich 14 Frankfurter Kultureinrichtungen beteiligen. Unser Beitrag mit einer Galerieausstellung und Filmreihe wurde von der Filmzeitschrift Revolver kuratiert, die von den Filmschaffenden Jens Börner, Benjamin Heisenberg, Christoph Hochhäusler und Nicolas Wackerbarth herausgeben wird und seit zehn Jahren die bundesdeutsche Filmpublizistik mitprägt und hinterfragt. Der für die Frankfurter Positionen eigens produzierte Film ZUKUNFT DES KÖRPERS feiert Premiere.
Was ist von den Wissenschaften zu halten, die eine Optimierung des Menschen und der Natur anstreben? Welche pragmatischen und sozialen Fantasien entwickeln sich gegenwärtig daraus für die Zukunft? Wie passt eine neue politische Ökonomie, deren Ressource das Lebendige selbst ist, zu unseren sozialen Bedürfnissen, Überzeugungen und Vorstellungen als menschliche Wesen? Wie stellt sich eine Welt dar, die zweckmäßig neu erfunden werden soll? Diesen Fragen stellen sich die Frankfurter Positionen 2008. Die Initiative der BHF-BANK-Stiftung präsentiert in diesem Jahr vom 12. April bis 8. Mai ein breit gefächertes Programm in den Sparten Theater, Musik und Bewegung, Film und Bildende Kunst. Hinzu kommen einige Lectures und Diskussionsrunden.
Die Redaktion der Filmzeitschrift Revolver wurde in diesem Kontext beauftragt, eine Filmreihe zu kuratieren sowie eigens für die Frankfurter Positionen ein Filmprojekt zu konzipieren, welches auch eine räumliche Entsprechung in der Galerie-Ausstellung findet. Revolver versteht sich als Forum für Positionen. Selbstzeugnisse von Filmarbeiter/innen formieren eine vielstimmige „Theorie der Praxis“, verbunden in der Sehnsucht nach einem Kino der persönlichen Herausforderung.
Bei der Auswahl des Filmprogramms stand die Entschiedenheit von Filmautoren im Vordergrund, die durch persönliche, gewagte und detaillierte Recherche einen Film produziert haben, der in dem Kontext der Frankfurter Positionen auch tatsächlich einen Diskurs provoziert. Entstanden ein vielstimmiges Prisma von formalen Ansätzen, welches einen inhaltlichen Bogen aufspannt, vom Aufstand gegen die Verkünstlichung der Welt bis zu dem konkreten Entwurf einer sozialen Utopie. Nach dem Film diskutiert jeweils ein Vertreter von Revolver mit einem geladenen Gast.
Filmreihe LEBEN ERFINDEN
Fr 18.4. 20.00 Uhr | Sa 19.4. 18.00 Uhr
Zukunft des Körpers. Sechs kurze Filme
Am 18.4. in Anwesenheit des Regisseurs
EIN BILD MEINER GROSSMUTTER
D 2008
R: Norman Richter
In EIN BILD MEINER GROSSMUTTER filmt Norman Richter in einer einzigen langen Aufnahme seine mal aus einem Buch vorlesende, manchmal zu sich selbst sprechende Großmutter.
VERBESSERUNGSPOTENTIAL
D 2008
R: Jose van der Schoot
VERBESSERUNGSPOTENTIAL begleitet einen jungen Physiker, der seinen Körper nach dem Tod einfrieren lassen möchte, um sich eine Brücke in die Zukunft zu sichern.
CUDDLE SIT BY POOL
D 2008
R: Rebecca Baron, Douglas Goodwin
In Zukunft wird, so CUDDLE- SIT BY POOL, die Kommunikationstechnologie vollständig in den Körper integriert sein. Hardware ist nicht mehr erforderlich.
PRESERVING CULTURAL TRADITIONS IN A PERIOD OF INSTABILITY
A 2004/D 2008
R: Thomas Draschan, Sebastian Brameshuber
Thomas Draschans Beitrag PRESERVING CULTURAL TRADITIONS IN A PERIOD OF INSTABILITY nimmt auf die aktuelle Entwicklung von Video als immer wichtiger werdendes Format Bezug und beleuchtet zugleich das Medium in der kritischen Tradition eines Stan Brakhage.
ROSI
D 2008
R: Katrin Eissing
Katrin Eissings ROSI ist ein Punk, eine Heldin, die in und mit ihrem Körper tatsächliche Wunder erlebt hat.
ERICH LUSMANN
D 2008
R: Rainer Knepperges
ERICH LUSMANN, der Protagonist in Rainer Knepperges Beitrag, lässt seinen Gang durch öffentliche Räume filmen, da er weder Nachfragen, wie und wodurch er zu seiner Einschätzung der Biowissenschaften gelangt sei, noch Bilder aus seiner Privatsphäre wünscht.
Do 24.4. 20.00 Uhr
DAS NETZ
D 2004
R: Lutz Dammbeck, Dokufilm, 121 min Lutz Dammbeck im Gespräch mit Martin Semlitsch
Zwischen 1979 und 1995 führte der nach dem Vorbild Thoreaus zurückgezogen in den Wäldern lebende Mathematiker Theodore Kaczynski einen terroristischen Einmannkrieg gegen die technologische Zivilisation. In dem essayistischen Dokumentarfilm DAS NETZ (2004) wird die Genese des Täters Kaczynski, die ihre Wurzeln in der US-„Counter Culture“ der sechziger Jahre hat und in Verbindung mit der während des Zweiten Weltkriegs entwickelten Kybernetik steht, rekonstruiert. Der Dokumentation folgt ein Gespräch zwischen Lutz Dammbeck, Filmemacher und Professor an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, und Martin Semlitsch über den Aufstand gegen die Verkünstlichung der Welt.
So 27.4. 20.00 Uhr
KOMISSAR Die Kommissarin
UDSSR 1967
R: Aleksandr Askoldov, Da: Nonna Mordyukova, Rolan Bykov, Raisa Nedashkovskaya, 110 min
Ekkehard Knörer (Filmkritiker) im Gespräch mit Christoph Hochhäusler von Revolver
Aleksandr Askoldovs KOMISSAR (Die Kommissarin) wurde 1967 gedreht, verschwand dann aber im Regal und konnte erst 1988 uraufgeführt werden. In dem mit dem Silbernen Bären ausgezeichneten Film bringt eine Kommissarin der Roten Armee inmitten des Bürgerkriegs, nahe der Front, ein Kind zur Welt. Was ihr zuerst als lästige Unterbrechung ihrer Pflicht erscheint, erweist sich als eine tiefgreifende Erfahrung. Christoph Hochhäusler unterhält sich im Anschluss mit dem Filmkritiker Ekkehard Knörer über die Dialektik des Fortschritts, archaisches Kino und Körper als (nicht-) löschbaren Speicher.
Mi 30.4. 20.00 Uhr
Vorfilm: DET PERFEKTE MENNESKE The Perfect Human
Dänemark 1967
R: Jorgen Leth, Da: Claus Nissen, Maiken Algren, 13 min
Jørgen Leths DET PERFEKTE MENNESKE (The Perfect Human, 1967) ist ein eleganter und humoristischer Kurzfilm über den perfekten Menschen in Aktion, den Lars von Trier als Ausgangspunkt zu seinem Film THE FIVE OBSTRUCTIONS nahm.
SANG SATTAWATT Syndromes and a Century
Thailand 2006
R: Apichatpong Weerasethakul, Da: Arkanae Cherkam, Jaruchai Iamaram,105 min
Gespräch: Prof. Hinderk M. Emrich (Psychologe/Neurobiologe) und Nicolas Wackerbarth von Revolver
SANG SATTAWAT (Syndromes and a Century, 2006), von den Cahiérs du Cinéma zu einem der besten zehn Filme 2006 erkoren, ist ein labyrinthisches Meisterwerk, welches die gleiche Liebesgeschichte an zwei verschiedenen Orten (einem Buschkrankenhaus und einer High-Tech-Klinik) zu zwei verschiedenen Zeiten erzählt. „Ein traumwandlerischer Film von Wiederkehr, Erinnerung und dem Glück, das scheinbar unbedeutende Dinge auslösen können.“ (C. Huber) Nicolas Wackerbarth spricht nach der Vorführung mit Prof. Dr. Hinderk M. Emrich, Professor für Psychologie und Neurobiologie, über das sich stetig wandelnde Verhältnis von Körper und Raum.
Die Filme im Mai
Di 6.5. 20.00 Uhr
THE YES MEN Globalisierung, nein danke! – Die „Yes
Men“
USA 2003, R: Sarah Price, Dan Ollman
Da: Mike Bonanno, Andy Bichlbaum, Michael Moore, Patrick Lichty, 83 min. OmU
Ernst Traut (Neurowissenschaftler und Soziologe) im Gespräch mit
Franz Müller von Revolver
Lustvoll mit der Sprache der Macht setzt sich die amerikanische Satire THE
YES MAN (2003) auseinander. Darin treten Mike Bonanno und Andy Bichlbaum als
vermeintliche Sprecher der Welthandelsorganisation (WTO) in der ganzen Welt
auf. Über die Internetseite www.gatt.org, die sich als Internetplattform
der Welthandelsorganisation WTO ausgibt, sozialdarwinistische Tendenzen der
WTO auf aberwitzige Weise parodiert und Absurditäten wie die Wiedereinrichtung
eines Sklavenmarkts in Afrika propagiert, werden sie irrtümlich von Handelsorganisationen
und Verbänden zu Kongressen, Pressekonferenzen und Fernsehauftritten eingeladen.
Vor Ort tischen sie Zuhörern und Auditorien Unglaubliches auf und ernten
immer Applaus. Nach dem Film spricht Franz Müller vom Kuratoren-Team mit
dem Neurowissenschaftler und Soziologen Ernst Traut, der zu den Gründern
des utopistischen Gesellschaftsversuchs „Erewhon“ gehört,
bei dem Möglichkeiten und Grenzen selbstregulierender Gesellschaftsmodelle
erforscht werden.
Mi 7.5. 20.00 Uhr
L’ AN 01
Das Jahr Null Eins, Frankreich 1973
R: Jacques Doillon, Alain Resnais, Jean Rouch
Da: Cavanna, Henri Guybert, Jacques Higelin, Romain Bouteille, 90 min. OmU
Olaf Möller (Filmkritiker) im Gespräch mit Saskia Walker
von Revolver
Jacques Doillons Erstlingswerk L’AN 01(1973), ein verspielter Pseudo-Dokumentarfilm,
basiert auf einem Comic von Gébé. Auf die Erfahrungen der 68er
aufbauend, setzt der Film, den seinerzeit mehr als eine halbe Million Zuschauer
in Frankreich sahen, eine Utopie aus dem Jahre 1971 um: mit allem aufzuhören!
On arrête tout! Man legt gemeinsam einen Tag fest und hört mit dem
bisherigen Leben auf. Arbeitsplätze werden geteilt, man verbringt die
Zeit mit Fahrrad fahren und Pilze sammeln. Schlüssel werden aus den Fenstern
geworfen und Gehwege bepflanzt. In dieser „neuen“ Gesellschaft
spielen viele bekannte Schauspieler teils ihre ersten Rollen, wie Gérard
Depardieu, Miou-Miou und Coluche. Alain Resnais hat eine Episode von der New
Yorker Wall Street beigesteuert, in der sich die Börsianer aus dem Fenster
stürzen, nachdem die Weltwirtschaft zum Erliegen kommt. Auch erzählt
Jean Rouch aus Niger, wo man sich über die neuen Ideen aus Europa freut.
Wie sieht es mit den heutigen Utopien aus, mit neuen Ideen zum Leben in der
Gesellschaft? Wer denkt nach dem Sieg des Kapitalismus weiter, fragt sich Saskia
Walker (Revolver) im Gespräch mit dem Filmkritiker Olaf Möller, einem
Kenner des Werkes von Doillon und der gesellschaftlichen Utopien.
Galerieausstellung
ZUKUNFT DES KÖRPERS
19. April – 18. Mai
Eröffnung: Freitag 18.04. 2008, 19:00 Uhr (2. Stock) in Anwesenheit von
Rebecca Baron und Douglas Goodwin, Thomas Draschan, Katrin Eissing, Rainer
Knepperges, Norman Richter, Jose van der Schoot, Christoph Hochhäusler,
Franz Müller, Nicolas Wackerbarth, Eva Weerts und anderen.
Im Rahmen der Frankfurter Positionen erhielt die Redaktion von Revolver – Zeitschrift für Film eine Carte Blanche für die Gestaltung einer Galerieausstellung. Revolver entschied sich, die sechs für die Frankfurter Positionen 2008 entstandenen kurzen Filme zum Thema „Zukunft des Körpers“ in einem von Gerwin Schmidt und Timo Thurner konzipierten Ausstellungsraum einzeln zu präsentieren. Die Ateliergemeinschaft Gerwin Schmidt zeichnet verantwortlich für die entschiedene Grafik von Revolver und fordert mit ihrem Raumkonzept jeden Besucher dazu auf in ein intimes, dreidimensionales Spannungsfeld mit dem Filmen zu treten.
ZUKUNFT DES KÖRPERS
Galerieausstellung 19. April – 18. Mai
Infos unter:
www.frankfurterpositionen.de
www.revolver-film.de
Eine Veranstaltung der Frankfurter Positionen in Zusammenarbeit mit dem DFM / DIF e.V., kuratiert von Revolver.
Die Frankfurter Positionen 2008 sind eine Initiative der BHF-BANK-Stiftung.
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